Viele Projekte veröffentlichen bekanntermaßen mindestens ein Album im Jahr. Um den Konsumenten bei der Stange zu halten und nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit zu verenden, werden leider zu oft Abstriche bei der Qualität gemacht, um den schnelllebigen Veröffentlichungsrhythmus einhalten zu können. Dass es auch ganz anders geht, zeigen uns seit 17 Jahren Haus Arafna. Das Kultprojekt und Phänomen des Industrial veröffentlicht immer sehr kurzfristig und mit großem Überraschungseffekt, wenn ein Album auch wirklich fertig und perfekt ist. So hat sich diese Veröffentlichungspolitik beim hauseigenen Label Galakthorrö manifestiert und den Großteil der Hörerschaft glücklich gestimmt. Und nun ist es endlich wieder soweit: Die beiden Perfektionisten Mr. und Mrs. Arafna lassen uns mit „You“ wieder an den Abgründen der Menscheit und des Menschseins teilhaben.
Der Weg von den brachial-akustischen Gewaltorgien der ersten Veröffentlichungen haben bis zum Vorgänger „Butterfly“ aus 2003 immer wieder etwas einfachere Zugänglichkeit und eine eingängigere Rhythmik zugelassen. Vergleicht man mal ein „Für Immer“ oder „Mirror Me“ (beide „Butterfly“) mit z.B. „New Skin Grafting“ („Sex U Mas“) oder dem zum Klassiker avancierten „He Colored Me Blind“, fällt die beschriebene Entwicklung auf. Auf „You“ fühle ich mich geneigt zu sagen, dass Haus Arafna sich sogar in Richtung des ruhigeren Nebenprojektes November Növelet bewegen. Das Album fällt in seiner Gesamtheit noch rhythmischer (teilweise auch sehr melodisch) strukturiert aus. Auch die zum Markenzeichen gewordene bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Stimme sucht man. Stattdessen hört man Mr. Arafna in aller Klarheit seinen Text vortragen und auch Mrs. Arafna durfte öfter ans Mikro.
Schon den Opener „Pain To Love“ hätte man besten Gewissens auf einem NN-Album veröffentlichen können, so einschmeichelnd und fast zart klingt der Titel. Ihrem Stil der musikalischen Kreation bleiben Haus Arafna jedoch treu. Analoge Synthesizer, pumpende Hintergrundbegleitung, viel Geräusch, Kratzen und Brummen bekommt man so wie man es sich wünscht serviert, jedoch viel eingängiger und strukturierter als man es vieleicht erwartet. Was jedoch kein Kritikpunkt, sondern vielmehr eine Lobpreisung sein soll. „You“ ist einzigartig, wie es jede Galakthorrö-Veröffentlichung ist. Man hört mit den ersten Tönen, aus welchem Hause diese Musik stammt. Solche Atmosphären, solche Stimmungen und die Art Musik einfach wirklich elektronisch klingen zu lassen, ist einfach unerreicht.
Mit dem Titeltrack „You“ befinden wir uns erstmalig deutlich im Haus Arafna-Universum. Die Stimme schreit verzerrt, dass einem das Mark gefrieren möchte und Krach fügt sich zu einem Konstrukt zusammen, dass einem deutlich wird, dass auch Krach ins Ohr gehen kann. Die nächsten 3 Titel sind für mich die stärksten der Platte: „Judas Kiss“ ist auch wieder etwas seichter und sehr hypnotisch. Wenn ich mich für DEN Titel entscheiden müsste, wäre es aktuell „Today You Died“. Er nimmt von Anfang an gefangen und hat eine Wirkung, die man schwer beschreiben kann. Eigentlich Arafna-untypisch, denn auch dieser ist sehr getragen, die Stimme von Mr. Arafna ist klar und deutlich. Aber das gesamte Stück ist mit seiner Symbiose aus Ton und Text dermaßen verstörend, dass es einen nicht mehr los lässt. Entlassen wird man mit ganz eigenartigen Lauten Mr. Arafna’s und einigen „wohlwollenden“ Worten. Ein Wahninsstrack!
Auch „Lucifer“ präsentiert sich in ähnlichem Gewand und viel Melodie im Gesang. Ein wahrer Ohrwurm. „Alive Through Pain“ ist dann wieder Haus Arafna in seiner reinsten Form: hart in seiner ganz eigenen Art und Weise.
Als weiteres Highlight sei noch „Colony Collapse“ hervorgehoben, was mich besonders an den Club-Hit (wenn man es so nennen darf) „Für Immer“ erinnert: Ein wunderbar geradliniger und eingängig pumpender Rhythmus trägt den Titel, bis er sich in einem verhältnismäßig sanften, von Mrs. Arafna vorgetragenen Refrain auflöst.
Zum Abschluss gibt es mit „Independent“ noch einen nicht minder genialen Track, welcher aber wieder klar an NN erinnert.
Auch wenn Haus Arafna nicht mehr so hart und brachial sind, wie man es von älteren Veröffentlichungen kennt, haben sie nicht ansatzweise von ihrem Charme und ihrer Einzigartigkeit verloren. Gerade weil die Abwechslung und das Vermischen der projekteigenen Vorzüge auf „You“ im Vordergrund stehen, entpuppt sich das Album als besonderes Glanzstück. Auch, wenn viele Fans der ersten Stunde sicherlich anderer Meinung sind und besonders bei den ersten Durchläufen das Rohe und „Böse“ als etwas zu kurz gekommen empfinden, ist „You“ für mich in der bisherigen Diskographie Haus Arafna’s der Höhepunkt. Der Mittelweg zwischen Härte, Eingängigkeit und Atmosphäre ist hier besonders gelungen und je öfter man das Album hört, desto mehr entfaltet es seine Stärken und man entdeckt immer mehr. Ein Meisterwerk!
PS: Wie gewohnt erscheint/erschien auch „You“ in einer streng limitierten Auflage als Vinyl-LP und CD in unbegrenzter Auflage. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Rezension war das Vinyl bereits vergriffen.