„How do you feel today“ ist nicht nur eine Höflichkeitsfloskel. Hinter der Frage verbirgt sich gesellschaftlicher Sprengstoff. Denn aus Gefühlen werden Stimmungen, aus Stimmungen plötzlich Meinungen und unkorrigierbare Überzeugungen. Wahrheit orientiert sich nicht mehr an Fakten, Wahrheit wird fanatisch.
2002 als spannendster deutscher Futurepop-Act gegründet, hat sich Rotersand binnen weniger Jahre und dank atemraubender Releases zu Deutschlands intelligentestem und wichtigstem Electro-Export hochgespielt. Nie wurde in dieser Maschinerie das Herz aus den Augen verloren, nie aufgehört, kritisch zu sein, zu hinterfragen, zu zweifeln, zu widerstehen. Menschlich zu sein. Auf ihrem jüngsten Album „How Do You Feel Today“ gipfelt all das in einer epochalen Zivilisationsbeschreibung und Gesellschaftskritik. Nie mit dem erhobenen Zeigefinger, nie im Imperativ. Sondern mit einer Waffe, die scheinbar als einzige in der Lage ist, das gesellschaftliche Eis zu schmelzen und durch die Verrohung zu stoßen: Große, brillante Musik. Elektronische Hymnen für die Menschlichkeit.
Je gläserner wir wurden, desto Ich-bezogener stellten wir uns dar, in diesen Netzwerken, die zunehmend asozialer werden konnten. Ein Projekt, das diesen Zeitgeist, diese fiebrige Stimmung einer digital-zerbröselnden Welt in ihrer Musik zu kanalisieren weiß und dabei stets die richtigen, die wichtigen Fragen stellt, ist Rotersand . Wer Rotersand kennt, der weiß bereits, dass sie mit den Konzepten ihrer Veröffentlichungen wenig scherzen. Ob die Aufgabe der Individualität zugunsten eines gierigen Systems („Random Is Resistance“) oder das Absorbieren der Persönlichkeit im Kommerz- und Kommunikationsrausch („Capitalism TM“): Rotersand haben nicht nur musikalisch den Hang zur Avantgarde. Also vertonen sie auch auf „How Do You Feel Today“ die Welt, die Wirklichkeit, die sie wahrnehmen; ein Knarzen und Brechen der zivilisatorischen Kruste und das Malmen der Verrohung. Mit eindringlichen, virtuos in Szene gesetzten, makellos ausproduzierten, bewundernswert arrangierten und postmodernen Electro-Kunstwerken voller rauschhafter Kraft, Gefühl und tief empfundenem Zorn, rütteln uns Rotersand auf, appellieren an uns, unsere Empathie und Menschlichkeit nicht zu begraben. Wahrheit und Lüge nicht zu verwechseln. Das ist politischer und mahnender als uns dieses Projekt je begegnet ist.
Wir leben jedoch in einer Zeit, in der selbst fest verankerte Werte zunehmend erodieren, zum Spielball von spontanen Stimmungen werden. Und da erscheint ein Werk wie „How Do You Feel Today“ wie ein Leuchtturm in der Nacht. In Sachen Electro kann ihnen eh niemand das Wasser reichen; spätestens jetzt müsste man Rotersand allerdings als Kulturgut schützen lassen.
„How do you feel today“ ist mehr als eine einfache Frage. Es ist der Rettungsring, der uns davor bewahrt, in den rollenden Wellen der Informationsflut zu ertrinken.
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