Wir interviewten Nitzer Ebb. Was es über die Vergangenheit, die Trennung, die Reunion oder z. B. auch über die Freundschaft zu Depeche Mode zu berichten gibt und welch‘ große Rolle TEE spielt, könnt ihr im folgendem Interview nachlesen.
Hallo Jungs, Danke, dass wir die Möglichkeit haben, euch mit unseren Fragen über Nitzer Ebb zu löchern. Euch gibt es ja schon seit 1982. Warum habt ihr damals angefangen, welche Träume und Ideen wolltet ihr damit verwirklichen?
BH: Anfangs hatten wir die Band einfach nur für unsere eigene Unterhaltung gegründet. Wir lebten in einer Kleinstadt, in der nicht viel los war. Wir wollten uns etwas Eigenes schaffen. Und wir wollten nicht die ganzen altbekannten Sachen nachahmen, sowohl im musikalischen, visuellen als auch stilistischen Sinn.
Sicher zählen DAF und DIE KRUPPS zu den Bands, die euch am stärksten beeinflusst haben. Wenn ihr mal zurückdenkt, was hat euch damals am stärksten inspiriert, Texte zu schreiben und zu komponieren – und wie sieht das heute aus?
BH: Ja, DAF waren auf jeden Fall ein großer Einfluss. Es war eine sehr inspirierende Zeit, um anzufangen Musik zu machen. Es waren so langsam Synthesizer verfügbar und es schien, als ob es sehr viele Möglichkeiten gab, um elektronische Musik zu machen. Es war auch aufregend eine Punkrock-artige Band zu haben, die aber diese damals neuen und ungewöhnlichen Instrumente benutzte. Ich mag diese Idee noch heute, etwas aus seiner konventionellen Form herauszulösen, wie zum Beispiel Rock’n’Roll, und es etwas zu verändern. Die Inspiration weiterzumachen kommt einfach von einer tiefen und andauernden Liebe zur Musik.
Der große Durchbruch kam für euch als Support für Depeche Mode auf deren „Music for the Masses Tour“ 1987/88. Wenn ihr nun von heute aus zurückblickt, was denkt ihr dann?
BH: Zurückblickend war das sicher ein absoluter Wendepunkt. Ich denke, wir haben uns vorher nie vom Status her in einer solch’ großen Mainstream Umgebung verstanden. Wir haben uns aber recht schnell daran angepasst und fanden, dass es uns eigentlich zustand. Es veränderte uns als Livemusiker, wir lernten viel dazu was die Shows angeht und wie man eine große, manchmal gleichgültige, manchmal negativ eingestellte Zuschauermenge unterhält. Wir lernten, professioneller zu sein. Wir sind dahingehend schon sehr viel erwachsener geworden.
Die 1991er Scheibe „Ebbhead“ wird ja als eine der wichtigsten Alben der gesamten EBM/Industrial-Bewegung der 90er Jahre angesehen. Was denkt ihr, was ist es, was das Album so besonders und wichtig machte?
BH: Wie bei allen unseren Alben denke ich, war es die Kombination der Elemente, die wir miteinander zusammenbrachten. Da war eine Menge Rock-Einfluss auf dem Album, aber wir haben diesen durch unseren minimal-elektronischen Arbeitsansatz gefiltert. Ich denke, wir haben damals auch angefangen, die Grenzen von dem, was von unserer Szene oder Genre erwartet wurde, ein Stück weit zu verschieben. Vielleicht ist es zu einfach, aber vielleicht haben wir einfach den Spagat zum Mainstream geschafft – zumindest hat es sich danach angefühlt – zugänglicher für viel mehr Menschen.
Im Jahr 1995 haben Nitzer Ebb „Big Hit“ veröffentlicht und sich kurz darauf getrennt. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen beidem?
BH: Ja und Nein. „Big Hit“ war ein Produkt dieser Zeit und zurückblickend haben wir uns damals als Band auseinander bewegt. Wir haben ein Album gemacht zu einer Zeit, als die Dinge fühlbar zu Ende gingen oder zu einer Trennung führen mussten. Wir wussten das nicht, als wir damit anfingen, aber es war klar am Ende der Aufnahmen. Es war Zeit etwas anderes zu machen. Wir sind aber noch immer sehr stolz auf dieses Album. Es ist unser am meisten missverstandenes Werk.
Was habt ihr in der Zeit zwischen „Big Hit“ und der Wiedervereinigung als Nitzer Ebb so gemacht?
BH: Ich habe eine Weile in Chicago gelebt und mich mit Musik-Produktion beschäftigt, angefangen mit einer Band namens „13mg“. Dann bin ich nach L.A. umgezogen, um dort weiterzumachen. Z. B. mit Billy Corgan, Marilyn Manson, Linda Strawberry – und ich habe die Synthesizer für eine Menge Künstler eingespielt. Nebenbei bin ich wieder zur Schule gegangen und habe gelernt, für Orchester zu komponieren und zu arrangieren. Und ich habe einige Soundtracks für Film und Fernsehen gemacht. Ich habe ein anderes Musikprojekt namens „Maven“ begonnen – ich schrieb und produzierte ein Album, mit dem ich sehr zufrieden bin. Kürzlich haben Jason und ich begonnen an einem Projekt zu arbeiten, das vielleicht eine größere Theaterproduktion werden könnte und wir haben dafür Musik geschrieben.
Und was war schließlich der Auslöser dafür, wieder mit Nitzer Ebb an neuem Material zu arbeiten?
BH: Vielleicht Terence Fixmer. Er hatte Doug kontaktiert, um mit ihm zu arbeiten. Das veranlasste Doug schließlich, mich zu fragen, ob wir wieder Nitzer Ebb auf die Bühnen bringen und etwas Neues machen wollten.
Endlich, nach 15 Jahren des Wartens, ist das neue Album „Industrial Complex“ erschienen. Was denkst du ist anders und ähnlich zu den Sachen, die ihr in den 80er und 90er Jahren herausgebracht habt? Wie habt ihr euch weiterentwickelt?
BH: Ich denke, wir sind einfach zufriedener mit dem Leben und unserem Platz darin. Wir haben eine bessere Wahrnehmung davon, was Nitzer Ebb gut kann und worin wir nicht so gut sind. So haben wir uns einfach auf unsere grundlegenden Stärken konzentriert und mit ihnen gearbeitet. Erfahrung ist auch eine große Hilfe. Problemlösung kann viel Spaß machen, wenn man das Wissen hat, damit umzugehen. Die jugendliche Existenzangst war auch lustig, aber sie kann manchmal sehr zeitraubend und ermüdend sein.
Wer machte den ersten Schritt in Richtung neues Album?
BH: Es war eine intuitive gemeinsame Entscheidung. Nachdem die Reunion-Shows so ein großer Erfolg waren, war das ein logischer nächster Schritt.
Wofür steht der Name „Industrial Complex“? Kann man es als Konzeptalbum bezeichnen?
BH: Wir haben angefangen am Album zu arbeiten, als die Bush-Administration ihre Blütezeit hatte. Das Konzept des „Military Industrial Complex“ nach dem 2. Weltkrieg in den USA war erschreckend lebendig und gegenwärtig. All das, wovor so oft gewarnt wurde und noch mehr. Das hat uns einfach gefesselt in unserem Denken. Das war der ernsthafte Teil. Auf der eher unbekümmerteren Seite haben wir ein bisschen über uns gelacht – denn egal, was wir bisher alles versucht hatten – zu experimentieren und Grenzen zu überschreiten – wir wurden immer wieder als EBM in Europa abgestempelt und als Industrial in den USA. Das war schon lustig für uns.
Habt ihr auch eure Herangehensweise an das Songwriting über die Jahre verändert?
BH: Ja. Ich war ja noch mal zur Schule gegangen und habe wie erwähnt Komponieren gelernt. Dazu kamen dann noch einmal 25 Jahre praktische Erfahrung, die auf jeden Fall einen Effekt auf deinen Stil haben. Du hast dann mehr Möglichkeiten, mehr Fähigkeiten, dich selbst auszudrücken. Du hast mehr Platz zum Herumspielen mit bestimmten Sachen.
Es hat ja seit „Big Hit“ große technologische Fortschritte gegeben. Habt ihr für das neue Album all diese neuen Möglichkeiten ausgenutzt oder bevorzugt ihr die Arbeit mit altem Equipment, um den „authentischen“ Nitzer Ebb Sound zu bewahren?
BH: Wir haben einen gemischten Ansatz gewählt. Die neue Technologie für die Postproduktion: Editing, Feintuning und so weiter. Ich denke, dass alte Geräte für das Komponieren und die erste Kreativität einfach besser sind. Sie sind einfacher, ehrlicher und emotionaler für den Anfang. Danach kannst du die ganzen technischen Spielzeuge nutzen, um eine gute Idee aufzumöbeln. Die Hände am Gerät, einem richtigen Instrument, ist halt immer noch das Beste für eine erste grobe Idee. Egal, ob es ein Synthie mit vielen Knöpfen oder ein Klavier, eine Gitarre, eine Stimme oder sonst etwas ist.
Lass uns mal ein paar Songs en detail besprechen. Vielleicht kannst du uns ein paar Gedanken oder Ideen zu den folgenden Stücken mitteilen:
„Once You Say“:
BH: Eine unserer ersten Ideen, die wir hatten. Wir haben einen ganz einfachen Anfang gemacht, um zusammen zu experimentieren. Und OYS war ein Zeichen, dass es gut funktionieren würde.
„Never Known“:
BH: Dieses Stück bringt eine Menge grundlegender Elemente zusammen. Eine einfache, treibende Basslinie, großartige Gesangsleistungen von Doug und eine wirklich fett kickende Drumline und klasse Rhythmusarrangement von Mr. Jason Payne.
„Payroll“:
BH: Aus dem selben Holz wie OYS. Eine Art „Jam Session“ – obwohl ich dieses Wort nicht mag. Einfach intuitiv, spontan und ein weiterer Kracher in Sachen Lyrik und Performance von Doug. Der Track entstand recht schnell und natürlich.
„I Don’t Know You“:
BH: Eine Art Abreise in einiger Hinsicht – vor allem in der Songstruktur. Vielleicht ist es mehr ein Indie Rock Track, aber mit eher herkömmlicher Nitzer Ebb Instrumentierung.
„I’m Undone“:
BH: Entstand aus einer sehr, sehr einfachen Idee am Klavier. Ich mag Klavier spielen als erstes am Morgen, bevor ich mit irgendjemandem spreche. Ich mach mir einen Tasse Tee und spiele für eine Stunde oder zwei. Die Idee hatte ich eines Morgens. Ich habe die Idee weiterverfolgt in den Tee-Pausen im Studio, während Doug Tee kochte und zuhörte. Wir haben unsere Ideen zusammengeworfen – und da war der Song. Sehr Tee-beeinflusst. Wir konnten in Sachen Produktion hier etwas differenzierter herangehen, auch beim Arrangement. Es schien zu dem Stil des Songs zu passen. Ich bin nicht sehr überrascht, dass Alan Wilder genau diesen Track zum Remixen ausgesucht hat.
„Kiss Kiss Bang Bang“:
BH: Wir hatten einen Punkt auf dem Album erreicht, an dem wir schon eine Menge Sachen verwirklicht hatten, die wir umsetzen wollten. Wir hatten ein bisschen Freiraum, um einfach etwas herrum zu experimentieren. Der Song entstand sehr einfach auf einem MPC Sampler/Sequencer, der mit einer Elektron Monomaschine verbunden war. Der Track war definitiv von den eingesetzten Geräten beeinflusst.
Ihr arbeitet ja noch immer eng mit Depeche Mode zusammen – Flood produziert, Martin Gore nimmt Gastgesang auf, ihr seid zusammen auf Tour. Was ist die Natur der Verbindung zwischen euch?
BH: Mute Records war der Grundstein dafür. Wir kommen auch aus derselben Gegend in England. Als wir mit ihnen auf Tour waren und mit ihnen arbeiteten, haben wir gemerkt, dass wir viel gemeinsam haben und sehr gut miteinander auskommen. Wir haben großes Verständnis füreinander und die Freundschaft hat die ganze Zeit überdauert.
Welche Musik hörst du denn so zu Hause in deiner Freizeit?
BH: Viel Klassik. Debussy, Bartok, Stravinsky. Big Band-Musik – Ellington ist da der King, ganz klar. Und auch viel meiner eigenen Musik, da ich immer am Schreiben und Üben bin.
Welche Alben habt ihr zu letzt gekauft?
BH: Elgar – Enigma Variations, Bernard Herrmann – „Vertigo“ Soundtrack – ein Klassiker. James Brown – Greatest Hits (hatte ich schon auf CD, aber die ging kaputt und ich musste sie noch einmal kaufen).
Jason: Kid A, Helmet (the red one), Wu Tang Clan (the flag one).
Ihr seid mit Depeche Mode auf Tour und spielt auch selbst Headliner-Shows. Das wird euch ja durch ganz Europa führen, für drei Monate! Wir haltet ihr euch da fit und in Form? Ich denke, dass wird sehr auszehrend in körperlicher wie auch in psychischer Hinsicht?
BH: Vor der Tour eine Menge Sport und Diät. Laufen, spazieren, nicht zu viel fettes Essen, nicht zu viel Alkohol. Und, leider nicht zu viel Brot. Das braucht schon eine Menge Disziplin. Auf Tour, da machst du was du tun kannst. Das ist nicht einfach, weil da immer Party-Atmosphäre herrscht, und gutes Essen an den Pause-Tagen. Psychisch muss man einfach Platz finden, wenn man ihn braucht. Ich nehme immer ein Instrument mit, normalerweise eine Reisegitarre, weil sie sofort griffbereit und tragbar ist. Ich lese viel und versuche, soviel von der Gegend zu erleben, wie ich kann. Während ich meine Energie für die Shows aufspare.
Was werdet ihr als erstes machen, wenn der letzte Gig vorbei ist?
BH: Meine Familie in England besuchen. Mit meiner Frau Zeit verbringen. Etwas Musik schreiben, spazieren gehen, Brot essen. Jede Menge Brot!
Vielen Dank für die Antworten und die Zeit. Wir wünschen euch viel Spaß und Erfolg auf der Tour. Habt ihr ein paar letzte Worte für die Fans da draußen?
BH: Wir sagen einfach nur Danke für die unglaubliche Unterstützung! Die bisherigen Headliner-Shows in den USA und Europa waren genial. Wir sind sehr froh, solche Fans zu haben. Es ist klar, dass wir ohne euch das nicht machen könnten! Danke!